Vom Anschlagsopfer zum Marathon-Mann - Neue Versehrten-Stiftung hilft

Von Kristina Dunz, dpa

Berlin (dpa) - Bestzeit. Jetzt zählen wieder Bestzeiten für Stefan Deuschl. Er will beim Berlin-Marathon Ende des Monats in weniger als 90 Minuten im Ziel sein. Die Weltspitze schafft die 42,195 Kilometer unter 70 Minuten, sagt der 41-Jährige. Dafür müsse er noch trainieren. Mit seinem Handbike. Die Sport-Maschine ist ein Geschenk.

Horst Schöttler hat sie ihm im Frühjahr 2006 gekauft. In einer Zeit, als für Stabsfeldwebel Deuschl der Tod noch nah, die Verzweiflung groß und die Hoffnung klein war. Am 14. November 2005 hatte er durch einen Selbstmordanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul beide Beine verloren, ein Kamerad überlebte die Detonation der 12-Kilogramm-Sprengladung nicht.

Deuschl ist am Freitag nach Berlin gekommen, um eine bislang einzigartige Stiftung vorzustellen: Die «Oberst-Schöttler-Versehrten- Stiftung». Horst Schöttler hat sie mit seiner Frau gegründet, um Soldaten, Polizisten und zivilen Helfern, die bei Auslandsmissionen schwer verwundet wurden, zu helfen. Auslöser war Deuschl.

Am 22. November 2005 erwachte er aus dem künstlichen Koma. «Ich bat die Krankenschwester, meine Stiefel auszuziehen und meine Beine hochzulegen.» Da hätten die Ärzte gewusst, dass sie nun seine Kinder an sein Bett holen müssten, um ihm neuen Lebenswillen zu geben. Einen Tag vor Weihnachten stand Deuschl dann auf Prothesen vor der Haustür seiner Familie. «Dieser Tag wird uns immer in Erinnerung bleiben.»

Es kamen Kosten auf die Familie zu, die sie selbst nicht decken konnte. Die staatlichen Zuschüsse reichten nicht aus, um die Wohnung umzubauen, ein geeignetes Auto zu kaufen, behindertengerechte Möbel anzuschaffen, und und und. Deuschl wollte auch wieder Sport treiben. Aber an ein Handbike war nicht zu denken. Schöttler sagt, die Kosten für den behindertengerechten Umbau eines Autos etwa belaufen sich mit rund 6000 Euro auf das Doppelte der Zuzahlungen des Staates. Ein befahrbarer Kleiderschrank koste mindestens 7000 Euro.

«Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich die Vorfälle reduzieren. Und wenn nicht, dass diese Stiftung dazu beiträgt, das Leid zu lindern.» Stefan Deuschl (Bild: dpa)

Deuschl ist nun im Vorstand der Stiftung. Er sagt: «Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich die Vorfälle reduzieren. Und wenn nicht, dass diese Stiftung dazu beiträgt, das Leid zu lindern.» Mit Vorfällen meint er Anschläge. Solche wie vor gut drei Wochen auf die Bundeswehr in Afghanistan mit einem Toten und Schwerstverletzten.

Nach Deuschl spricht Schöttler. Er sagt nur: «Herr Deuschl hat alles gesagt.» Über sich selbst sagt er nichts. Von 1965 bis 1971 war er bei der Bundeswehr, er ist Oberst der Reserve und hat 30 Jahre als Katastrophenschützer im In- und Ausland gearbeitet. In Kaiserslautern war er als CDU-Mitglied Bürgermeister. Heute gehört er keiner Partei mehr an. «Irgendwann habe ich mich nicht mehr für die Programme der Parteien interessiert. Ich schaue lieber auf die Menschen.»

Deuschl hat die Bundeswehr verlassen. Ohne Beine will er nicht Soldat sein. Er ist jetzt pensioniert, arbeitet ehrenamtlich für seinen Eishockey-Verein und hilft bei den Vorbereitungen für die Ski- Weltmeisterschaft der Junioren. Er sagt, seine Kinder hätten sein Schicksal von Anfang an akzeptiert. «Aber manchmal hadern wir schon. Einiges können wir wegen meiner Behinderung einfach nicht machen - Eishockey spielen zum Beispiel.» Seine Söhne seien jedoch froh, dass es seine Beine und nicht seinen Kopf getroffen hat.